REIZ – PHILOSOPHY TALK

HOW EYEWEAR BECOMES FASHION – OR NOT

Die Mode hat schon lange ihren Einzug in die optische Welt vollzogen. So manch Optiker erinnert von seinem Interieur her eher an eine Prêt-a-Porter Boutique als an das, was man vor vielen Jahren noch unter einem Optik-Fachgeschäft verstand. Aber auch Marken treten zunehmend modischer auf und adaptieren viele Entwicklungen, die man aus der Fashionbranche kennt. Dabei geht es nicht nur um Produktdesigns und Farben, die sich an aktuellen Modetrends orientieren, sondern auch um das Tempo, in dem Brillenlabels ihren Kunden neue Kollektionen anbieten. Diese Beschleunigung ist in der Produktion nicht leicht zu handhaben und verlangt Herstellern prozessuale Veränderungen ab. Es gibt aber auch einen gegenläufigen Trend – hin zu Reduktion und Entschleunigung.

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Einigkeit besteht indes darüber, dass dem Image einer Marke fernab von technischen Features eine grundlegende Bedeutung zukommt. So überrascht es nicht, dass auch die Kommunikation der Marken immer mehr an die von Modeunternehmen erinnert. Ein Brillenlabel, das in diesem Bereich schon seit vielen Jahren Akzente setzt und sich stets weiterentwickelt, kommt aus einem beschaulichen süddeutschen Ort und hört auf den Namen REIZ. Von hier aus zieht die Marke, welche in Deutschland zu den Most-Sophisticated-Brands zählt, seine internationalen Fäden. Wir treffen uns mit den beiden Gründern Franz Reutter und Jochen Gutbrod in Paris am pittoresken Place des Vosges, zu dem die beiden seit vielen Jahren eine sehr enge Verbindung halten. Gelegen im Pariser Szene- und Modeviertel Marais ist es ein prädestinierter Ort, um über Mode zu philosophieren. Und über Zeitgeist – dieser spielt für REIZ nämlich eine noch wichtigere Rolle.

Hallo Franz, hallo Jochen. „Mode in der Brillenbranche“ – seit Jahren ein bedeutendes Thema. Die Kompetenz, darüber zu reden, darf Euch keiner absprechen, Euer Standort in Wernau am Fuße der Schwäbischen Alb steht jedoch nicht gerade für Urban Sophistication.

Franz: Danke für das Vertrauen in unsere Kompetenz diesbezüglich – trotz der Schwäbischen Alb.

Warum hat es Euch nie in eine Modemetropole verschlagen?

Jochen: Wernau ist unsere Basis. Hier finden wir die nötige Ruhe, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Um Dinge zu gestalten, braucht es vielerlei Einflüsse. Diese müssen aber nicht ausschließlich urban sein.

F: Oft lassen sich Dinge mit etwas Abstand objektiver betrachten. Man darf sich aber auch nicht zu stark von außen beeinflussen lassen. Vielmehr entsteht Kreativität aus einer Aktion heraus. Für eine Aktion braucht man wiederum Inspiration, die man jedoch überall finden kann, wo man sucht. Dies kann im urbanen Umfeld stattfinden oder in der Natur. Wichtig ist es, sich auf die Entwicklung zu konzentrieren und das umzusetzen, was als Idee – wo auch immer – entstanden ist.

Wie haltet Ihr Euch up-to-date?

J: Wir bewegen uns nicht nur an unserem Wohnort. REIZ ist seit Beginn darauf ausgerichtet, überall dort zu agieren, wo für unsere Produkte ein Markt entsteht. Unser Start war in Deutschland, anfangs hat der Japanische Markt allerdings eine große Rolle für uns gespielt. Regelmäßige Reisen nach Tokyo, New York und Paris haben uns natürlich weitergebracht.

Was inspiriert Euch in diesen Metropolen?

F: Es hat uns immer Spaß gemacht, Plätze zu finden, die oftmals etwas hinter den Hot Spots der Metropolen lagen. Klar ist eine Omotesando als eine der größten Einkaufsstraßen in Tokyo beeindruckend, aber in den kleinen Nebenstraßen wollen die individuellen Shops gefunden werden und auch Plätze, die ein spannendes Lebensgefühl vermitteln. So ein Platz ist zum Beispiel auch der Place des Vosges in Paris. Hier präsentieren wir seit vielen Jahren unsere Neuheiten.

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Warum stellt Ihr Eure Kollektion nicht auf dem Messegelände aus?

F: Der Place des Vosges ist eine kleine, lebendige Oase. Du findest hier alles – von Hipstern, die hier picknicken, bis hin zu Omis, die dem Treiben auf den Straßen zuschauen.

J: Die jährlich fast zeitgleich stattfindende Fashion Week im Marais ist ein zusätzlich spannendes Thema. Trotz dieser Gegensätze wird der Place des Vosges auch gern als „Herz von Paris“ beschrieben – für uns eine sehr treffende Aussage. Wo lassen sich also Brillen angemessener präsentieren als in einem historischen Gebäude mit Blick auf den Park, fern ab von Stress und Trubel? Keine Messe-Reizüberflutung, dafür offene Fenster und viel Licht und Zeit mit unseren Kunden. In dieser friedlichen Atmosphäre entstehen oft tolle Gespräche – gerne auch mal jenseits Optik.

Und eure Kunden kommen extra hier hin?

F: Ja. Viele wollen neben der Messe – wie wir auch – Paris erleben und kommen gerne vor oder nach der Messe zu uns. Für uns ist es jedes Jahr ein einzigartiges Zusammentreffen mit besonderen Menschen an einem tollen Ort.

J: Dies kann dann oftmals bis spät in die Nacht andauern. Wir gehen denselben Weg wie unsere Kunden, die in Ihren Shops auch ein besonderes Einkaufserlebnis kreieren.

Was hat es mit diesem Einkaufserlebnis bei den sogenannten ‚Optischen Boutiquen’, auf sich?

F: In der heutigen Zeit wird außer der fachlichen Kompetenz, freundlichem Service und

dem sich „gut-aufgehoben-Gefühl“ auch großen Wert auf das Umfeld gelegt. Harmonisch durchgestylte Läden, hippe Verkäufer und ein lässiger Umgangston sind ein Muss. Der Trend geht weg vom Weißkittel-Image des Optikers.

Beispiele bitte!

J: Hierzu gehören auf jeden Fall Läden wie die Steingasse 14 in Heidelberg, Six Million Glasses auf der Schanze in Hamburg und Entre Vues Seven in Lyon. Dies ist jedoch nur

eine kleine Auswahl aus vielen tollen Shops.

 Warum gewinnen modische Aspekte in der Brillenindustrie immer mehr an Bedeutung?

F: Fortschreiten, sich bewegen – warum sollte das bei der Brille enden? Das Wort ‚Sehhilfe’ und der ‚Weiße Kittel’ sind aus den Läden verschwunden. Die Brille ist längst zu einem Modeaccessoire herangewachsen. Aus der klassischen Korrekturhilfe ist ein nicht mehr wegzudenkendes modisches Produkt herangereift.

J: Welche Bedeutung der Brillenträger im Einzelnen seiner Fassung zumisst, liegt allein an Ihm. Unsere Berufung ist es, etwas herzustellen, was Menschen begeistert und sie temporär begleitet.

Wovon lasst Ihr Euch im Produktdesign inspirieren?

J: Es gibt viele verschiedene Inspirationsquellen. Das können energetische Personen sein, die Natur mit all ihren verschiedenen Tönen und Farben, aber ebenso Formen und Linien, die es überall zu entdecken gibt.

F: Auch Farben und Formen aus der Mode werden bis zu einem gewissen Grad aufgenommen und in die REIZ DNA eingepflanzt. Unser Ziel ist allerdings nicht, daraus einen Klon entstehen zu lassen. Vielmehr sollen auf unserem eigenen gestalterischen Nährboden REIZ-spezifische Produkte wachsen. Die Inspiration zu Form und Farbe kommt nicht zwangsläufig immer aus dem aktuellen Modetrend. Auch aus anderen Bereichen können schön gestaltete Dinge den Impuls auslösen, um über eine neue Form nachzudenken.

Auch die Kommunikation wird modisch. Ihr arbeitet schon lange mit renommierten Fashion-Fotografen zusammen und inszeniert aufwändig Kampagnen.

F: Das Wichtigste ist, dass die Chemie zwischen dem Fotograf, uns und der Kollektion stimmt.

Es bedarf einer gewissen Sensibilität und Feingefühl von Seiten des Fotografens, das Thema der verschiedenen Kollektionen zu erkennen und dieses in seiner Arbeit wiederzugeben.

J: Wir wollen kein aufgesetztes Image erzeugen, vielmehr muss der Fotograf leisten, dass wir uns mit den visuellen Ergebnissen identifizieren können. Das Ergebnis muss einfach REIZ sein. Bei den letzten Kampagnen hatten wir das Glück, mit einer tollen Stuttgarter Fotografin zusammen zu arbeiten, die uns mit ihrer ausdrucksstarken, teils skurrilen Interpretation alle Wünsche von den Augen abgelesen hat.

Ist eine Positionierung als modisches Label wichtig, um als Marke bedeutungsvoll zu sein?

F: Die Zeiträume, in denen Modetrends Bestand haben, werden immer kürzer. Das Gesicht der Produkte wechselt immer schneller. Diesen Trends zu folgen, kann sehr verwirrend sein. Den Zeitgeist zu treffen, sehen wir als eine bessere Möglichkeit an, um als Label wahrgenommen zu werden. Es ist wichtig, dass ein Label für etwas steht und dafür erkannt wird.

Spürt Ihr eine steigende Bedeutung des Markenimages? Geht es bei der Brille nicht viel mehr um technische Features, Passgenauigkeit und darum, wie gut eine Brille dem Kunden steht?

J: Passgenauigkeit und technische Funktion sind Voraussetzung und was wem steht ist Geschmackssache.

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Nicht nur bei Produktdesign und Kommunikation wird es modisch, auch die Kollektionszyklen ähneln immer mehr denen der Textilbranche.

J: Wahrhaftig werden die Zyklen immer kürzer. Die Kunden möchten Langlebigkeit und zugleich immer etwas Neues. Hier lässt sich schön mit Farben spielen, z. B. mit einer limitierten Sonderfarbe oder einem Sondermodell.

 Immer häufiger liest man auch von Capsule Kollektionen und Kollaborationen mit Künstlern und Designern aus anderen Bereichen. Ist das auch für REIZ ein Thema?

F: Capsule Kollektionen müssen nicht zwangsläufig in Kollaboration mit Künstlern und Designern entstehen, wobei wir das für uns auch nicht ausschließen. Vielmehr haben wir schon seit jeher Serien in unserem Produktportfolio entwickelt, die wir ‚abgekapselt’ von unserer Basis Kollektion gelauncht haben. In diesen Serien haben wir Dinge ausgelebt und wir haben sie als Spielfeld genutzt, aus dem heraus sich oftmals eine neue Richtung entwickelt hat.

J: Vor vielen Jahren hatten wir z. B. eine Kollaboration mit BMW / MINI, bei der ein wunderschöner MINI Clubmann in schwarz matt entstand. Parallel wurde von REIZ eine nummerierte Limited Edition Serie mit zehn Fassungen in schwarz matt entwickelt.

Muss ein Brillenlabel bei der kurzen Taktung mitspielen? Wie macht REIZ das?

J: Derzeit arbeiten wir mit sieben Kollektionen, die allerdings bis zum Ende des Jahres auf vier Kollektionen reduziert werden. Darauf bauen wir dann weiter auf.

Was gilt es dabei abzuwägen?

F: Bei der kurzen Taktung gilt es, die Produktionskapazitäten nicht zu überfordern und weiterhin die hohen Standards zu halten. Qualität steht bei uns an erster Stelle – weit vor einer kurzen Taktung. Wir gehen nur bedingt auf die Schnelllebigkeit ein, da wir unseren Fokus nicht verlieren wollen.

 Es gibt ja auch den gegenläufigen Trend – den zu Reduktion und Entschleunigung. Ein guter Brillenstyle muss nicht jedes Jahr neu erfunden werden, oder?

J: Nein, definitiv nicht. Schöne, ausdrucksstarke Formen sind immer im Trend.

Grundsätzlich kann die Brille sowieso nicht neu erfunden werden, jedoch können Formen neu interpretiert oder ausgearbeitet werden, damit sie wieder den Zeitgeist treffen.

Dies wird beispielsweise in unserer R20 Jubiläumsserie deutlich. Die Entwürfe entstanden in unserem Gründungsjahr 1996 und wurden 2016 neu interpretiert wieder angeboten. Unser Ziel ist es, ein Produkt zu erschaffen, das über Modetrends hinweg Bestand hat, sprich: das erschaffen von Klassikern.

Dennoch gilt REIZ als ein sehr modisches Brillenlabel. Spielt Euch die Entwicklung zur Mode hin in die Karten oder ist es eher schwierig für Euch?

F: Weder noch. Es gibt jedenfalls keinen Trend, zu dem keine Brille passt. REIZ steht einerseits für Fashion, andererseits als bodenständiges, mit schwäbischen Maximen arbeitendes Unternehmen.

Seit mehreren Saisons spielt Ihr mit der Optitektur Kollektion. Welche Bedeutung hat diese bei Euch?

J: Mit unserer Optitektur Serie hat ein Wandel begonnen. Neue Optik, neue Formen, neuer Style. Ein tiefgreifender Umbau der REIZ Gestaltungs-DNA. Bei diesem Gestaltungswechsel gehen REIZ lovely Serien in die Optitektur Linie über.

 Funktioniert solch ein Wandel ohne Aufgabe der eigenen Markenidentität?

F: Hier möchten wir den einstigen IHK Vorstand aus Stuttgart zitieren: „Bestand hat nur, was sich dem Wandel stellt“.

 Was dürfen wir in naher Zukunft noch von REIZ erwarten?

J: Weiterhin modische und qualitativ hochwertige High-End Fassungen, die dem REIZ-Träger Spaß machen.

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Danke Euch für das Interview.

Mehr Infos: www.reiz.net/

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