The Optician’s Perspective – Karin Stehr

Karin Stehr von BELLEVUE in Hamburg gehört zu den exponiertesten Optikern überhaupt. Das liegt nicht nur an ihrem feinen Portfolio an Premium Independent Brands, sondern auch in ihrem allgemeinen Engagement, welches oft weit über ihr eigentliches Optikgeschäft hinausgeht, so veranstaltet sie z. B. Events, zu denen sie Brillendesigner einlädt. Auch bei der Entwicklung von FAVR – Premium Eyewear Finder hat sie maßgeblichen Input gegeben, was sie zu unserer Wunsch-Interviewpartnerin macht.

Hallo Karin, als Inhaberin von BELLEVUE in Hamburg bist Du seit vielen Jahren in der Optikbranche aktiv. Was reizt Dich an diesem Mikrokosmos?

Ich wollte mit Ende zwanzig etwas ändern, etwas mit „schönen Produkten“ zu tun haben. Das Business erfordert ästhetisches, technisches und kommunikatives Wissen, man erlebt eine permanente direkte Resonanz von den Kunden und im Team. Die Branche ist einerseits klein, andererseits extrem vielfältig. Ich empfinde hier eine große persönliche Gestaltungsfreiheit.

Du engagierst Dich besonders für die Independent Brands. Warum eigentlich? 

Ich teile die Sehnsucht vieler Menschen nach authentischen Marken und das Bedürfnis, mehr über die Dinge zu wissen, die einem nah und allgegenwärtig sind. Bei den Independents besteht noch eine echte Beziehung zum Produkt, die wir unseren Kunden leicht vermitteln können. Durch die Größe der beteiligten Unternehmen und die Mentalität der meisten Gründer/Inhaber/Designer ist ein direkter Austausch möglich. Wenn die Werte dieser Menschen in wichtigen Punkten mit meinen übereinstimmen, engagieren wir uns praktisch gemeinsam für dieselbe Sache. Das wäre bei den großen Lizenzmarken der Luxuslabel kaum denkbar.

Wie erlebst Du selbst die Bedrohung durch diese Big Player, insbesondere die neuen Vertikalen? 

Innerhalb kurzer Zeit hat sich in unserer Umgebung einiges verändert, VIUAce & Tate haben in unmittelbarer Nähe eröffnet, und Jimmy Fairly hat gerade seine Regale im Alsterhaus neben der Rolltreppe aufgestellt. Glücklicherweise empfinde ich dies nur in sehr seltenen Momenten als Bedrohung, eher sehe ich diese Konzepte als ein Produkt der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, deren Teil wir selbst auch sind. Wir haben nur andere Werte und sollten diese viel sichtbarer machen, denn sie berühren die Bedürfnisse vieler Menschen. 

Noch vor wenigen Jahren hieß es, da würden ohnehin nur Studenten einkaufen? Wie siehst Du das heute?  

Studenten sind meist Vorreiter bei neuen Entwicklungen, auch hier war es nicht anders. Zumindest in großen Städten gehören Geschäfte dieser Art, auch in anderen Branchen, inzwischen jedoch zum Lebensalltag einer Gesellschaft, die unabhängig vom Alter und „Studentenstatus“ unkomplizierte, preiswerte Produkte „to go“ nachfragt und dabei modisch up-to-date sein möchte. 

Was machen diese neuen Konzepte gut? 

Sie machen nach dem heutigen Stand der Markenführung viele Dinge richtig gut. Sie haben ein Bedürfnis erkannt (siehe vorherige Antwort) und bedienen es nach allen Regeln der Kunst. Sie haben sich nicht aus einer Tradition weiterentwickelt, sondern das Fast-Fashion-Konzept mit viel Knowhow auf die Brillen übertragen. Dafür investieren sie einen viel höheren Anteil ihres Budgets als die traditionellen Augenoptiker in ihre Online-Präsenz. Sie eröffnen ihre Geschäfte genau dort, wo bereits engagierte Optiker für eine gute Kundenfrequenz sorgen. Die Gestaltung der Shops und der Kollektion orientiert sich an hippen Fashion-Brands. So kommt es zu einer starken Frequenz und Bekanntheit.

Worin liegen nach wie vor die Stärken der Independent Optiker? 

Das kann ich viel kürzer beantworten: Absolute Kundennähe!  Sie sollte über dem ganzen Konzept stehen und die Grundlage jeder Detailentscheidung jedes einzelnen Mitarbeiters sein. Sie sollte sichtbar, spürbar, hörbar, lesbar sein. Sie sollte die Events prägen, auf die z. B. wir besonders setzen, und die Art, wie wir mit Reklamationen umgehen.

Du bist als Optikerin online sehr aktiv. Viele Deiner Kollegen tun sich damit jedoch schwer, selbst die Aktualisierung der eigenen Website stellt oft eine große Herausforderung dar. Woran scheitert es im Alltag?

Unser Arbeitsalltag ist immer anspruchsvoller geworden, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Auch ich scheitere immer wieder daran, meine persönlichen To-Dos wie geplant abzuarbeiten. In diesem Dilemma ist es die große Kunst – und die einzige Lösung – immer wieder die richtigen Prioritäten zu setzen. Ich halte eine gutgepflegte digitale Präsenz für einen elementaren Bestandteil meines Geschäfts und habe auch Spaß daran, mich in dieser Beziehung mit großem Zeitaufwand immer weiterzubilden. Dafür gibt es andere Bereiche, bei denen ich damit leben muss, dass sie nicht ganz meinen Idealvorstellungen entsprechen. 

Bei der Entwicklung von FAVR hast Du Dich sehr engagiert. Warum eigentlich? 

Die Independent Brands sind meine Leidenschaft und meine Geschäftsgrundlage. Auf der anderen Seite sind sie ein kleiner Mikrokosmos im Universum der Eyewear Industrie. Die immer schneller werdende Konzentration auf der einen Seite und die wachsende Stärke der neuen Marktteilnehmer (Digital Brands, Vertikale Newcomer) kreisen die Independent Brands geradezu ein. Sie laufen Gefahr, als kleine und mittlere Unternehmen ihre Sichtbarkeit zu verringern. Bis auf wenige Ausnahmen haben sie es auch noch nicht in Angriff genommen, ihr Geschäftsmodell zu digitalisieren, damit sie gemeinsam mit ihren Optikpartnern in der digitalen Welt überhaupt noch stattzufinden. Ein Portal wie FAVR entspricht ganz meinen eigenen Ideen, wie die Independents ihre Kraft bündeln und die Zusammenarbeit mit den Independent Optikern auf eine neue Stufe heben können. Zum Glück ist dieses Portal nun von Euch mit viel Idealismus quasi direkt von innen aus der Branche gekommen. Damit ist die Gefahr kleiner geworden, dass finanzstarke Investoren es mit ganz anderen Intentionen von außen überstülpen können. Das würde meinen Wünschen und Geschäftsinteressen sicher eher zuwiderlaufen.

Was erhoffst Du Dir von solch einer Plattform? 

Ich glaube, dass wir mit FAVR die Wünsche der Kunden nach digitaler Inspiration auch in unserem Segment besser erfüllen können. Das Virtual Try-On wird in Kürze bei den Luxusbrands und bei den neuen Pionieren State of the Art sein. Kein unabhängiger Optiker wäre wirtschaftlich in der Lage, dies als Einzellösung zu realisieren. FAVR bietet die Chance, dass viel mehr Menschen als bisher überhaupt auf die Independent Brands aufmerksam werden. Es eröffnet den potentiellen Kunden eine neue Welt – und es ist dann unsere Aufgabe, sie mit unserer Kommunikation und schließlich im Geschäft für diese Brands zu begeistern.

What do you hope such a platform can achieve? 

I believe that with FAVR, we will be able to meet the customer demand for digital inspiration in our segment a lot better. Virtual try on tools are about to become the state of the art among luxury brands and new pioneers. No independent optician would have the financial resources to offer such a tool as a stand-alone solution. FAVR offers a chance for more people than ever to become aware of independent brands in the first place. It opens up an entirely new world to potential customers. And then it’s our mission to get them excited about these brands by communicating via the platform and meeting them in-store.

FAVR zeigt dem Konsumenten ein kuratiertes Angebot, damit dieser sich bequem inspirieren lassen und dann mit dem Optiker in seiner Nähe in Kontakt treten kann? Der Optiker sollte Kundenanfragen dann auch zeitnah beantworten. Was empfiehlst Du Deinen Kollegen, um dem gerecht zu werden? 

Jeder von uns geht im Geschäft in der Regel spätestens nach dem dritten oder fünften Klingeln ans Telefon. Wenn wir die Menschen, die uns zukünftig eine Nachricht über FAVR schicken, einfach ebenso behandeln, kann doch eigentlich nichts schiefgehen. Wir müssen uns nur klarmachen, dass die Wünsche von potentiellen Kunden, die wir fast ohne Aufwand frei Haus geliefert bekommen, eine goldene Eintrittskarte sind, uns und unsere Produkte und unsere Leistungen bestmöglich zu präsentieren.

Optiker mit einem Premium-Status können sich dem Konsumenten auf einer eigenen Micro-Page präsentieren und selbst auch Blogposts verfassen. Inwiefern glaubst Du, sind diese Touch Points für die Wahrnehmung des Konsumenten wichtig? 

Auch – oder gerade wegen – der durchweg hochklassigen Geschäfte, die sich aller Voraussicht nach auf FAVR tummeln werden, ist es natürlich besonders wichtig herauszustechen. Das erhöht die Chance, in seinem lokalen Umfeld von interessierten Nutzern ausgewählt zu werden. Mit Blogartikeln kann man die eigene Kompetenz und die Besonderheiten des Geschäfts gezielt hervorheben. 

Was werden in den kommenden Jahren die entscheidenden Faktoren sein, die ein Optiker beherrschen muss, um in dem sich verschärfenden Wettbewerb bestehen zu können? 

Absolute Kundennähe, Wertschätzung, Toleranz, Authentizität. Dazu ein immer stärkeres Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Die gemeinsamen Werte im Team erarbeiten und leben. Die persönliche Weiterbildung der Mitarbeiter fördern, damit dies möglich ist.

Wagst Du zum Abschluss noch eine positive Prognose für die Independent Brands und Optiker, bitte? 

Viele Werte der Independents liegen in unserer und vielen anderen Regionen der Welt im Trend. Es gibt eine Sehnsucht der Menschen zu wissen, wer hinter den Produkten steht, die sie täglich nutzen. Immer mehr möchten wissen, was diese Menschen antreibt, und sich wenn möglich mit ihren Werten identifizieren. Ich kenne viele der Gründer und Designer der Independents persönlich. Sie brennen für ihre Brands und machen sich inzwischen auch viele Gedanken über Nachhaltigkeit. Das ist die Basis für die Zukunft, denn der gemeinsame Mikrokosmos der Independent Brands und der Optiker bedingt einander. Wenn wir uns jetzt, in der Zange zwischen den genannten anderen Strukturen, darauf einigen, werden wir gestärkt daraus hervorgehen. FAVR kann einen großen Beitrag dazu leisten.

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